Afrika und das Virus
Meine Tante lebt seit vielen Jahren mit ihrem Freund in Westafrika, in Togo, in einem Vorort ungefähr 30 Minuten von der Hauptstadt Lomé entfernt. Sie ist eine Weltenbummlerin, die bereits überall auf der Welt zuhause war, nur in Deutschland hat sie in den vergangenen 40 Jahren nicht mehr gelebt. Jedes Jahr kommt meine Tante für einige Wochen zurück in ihre alte Heimat, um ihre Familie und ihre FreundInnen zu sehen. Dieser Besuch war auch für dieses Jahr geplant, für Mai, für jetzt eigentlich. Aber auf dem afrikanischen Kontinent ist Covid-19 inzwischen auch angekommen. Was das bedeutet, beobachten viele ExpertInnen momentan mit abwartendem Unbehagen. Afrika und das Virus – was heißt das eigentlich?
Corona-Maßnahmen in Togo
Ich hatte mich schon auf ein Wiedersehen gefreut. Aber Anfang April steht fest, dass Air France alle Flüge von Lomé nach Paris streicht. Meine Tante kann ihre Reise nicht antreten. Zuerst dachte sie noch, okay, dann fliege sie eben zwei oder drei Wochen später, sie nahm das Virus ernst, aber hoffte, es würden schnell Lösungen gefunden werden. Aber je länger sie die Corona-Entwicklungen weltweit beobachtete, umso klarer wurde, schnelle Lösungen wird es nicht geben. Und dann verhängte auch die togolesische Regierung Corona-Maßnahmen. Inzwischen gibt es strikte Ausgangssperren, im Großraum der Hauptstadt Lomé dürfen die Menschen von 20 – 6 Uhr ihre Häuser nicht verlassen. Die Restaurants, Bars und Hotels sind geschlossen, genauso die Schulen, Veranstaltungen verboten. Die Umsetzung der Maßnahmen wird vom Militär kontrolliert. Schon relativ früh, sagt meine Tante, verteilten engagierte Jugendliche in ihrem Viertel Masken, sie wollten rechtzeitig aufklären und aufmerksam machen. Inzwischen gibt es Masken für 30 Cents an jeder Straßenecke. Selbstgenäht aus bunten Stoffen oder aus ausrangierten BHs. Die medizinischen Einwegmasken kosten in der Apotheke 3 Euro (!). Was bei uns in Deutschland schon ein Wucherpreis ist, bedeutet für togolesische Verhältnisse ein Vermögen, das sich so gut wie niemand leisten kann. Am Anfang trugen fast alle eine Maske, schreibt mir meine Tante, inzwischen sind die Leute wieder nachlässiger geworden, obwohl es täglich mehr Coronafälle gibt.
Und obwohl es auch in Togo vor den Supermärkten, vor den Eingängen in Banken und Apotheken Desinfektionsmittelspender gibt, obwohl die Menschen angehalten werden Masken zu tragen, Abstand zu halten und sich die Hände zu waschen, also alles erst mal nicht sehr viel anders klingt, als die Maßnahmen bei uns in Deutschland, gibt es bedeutende Unterschiede. Die Menschen in Togo leben, wie in den meisten anderen afrikanischen Ländern, eng zusammen, viele Menschen in kleinen Häusern, Baracken oder Wohnungen. Lebensmittel kauft man auf überfüllten, quirligen Märkten, in winzigen Geschäften oder direkt am Straßenrand. Regelmäßiges und ständiges Hände waschen? Distanz halten? Wie soll das gehen, wenn es keine selbstverständlichen Voraussetzungen dafür gibt und es außerdem nicht zum kulturellen und sozialen Verständnis des Zusammenlebens gehört? Die Kinder sitzen eng zusammen, spielen Karten, mit Murmeln oder an ihrem Smartphone, berichtet mir meine Tante. Sie sorgen sich nicht, sind zusammen, wie sonst auch. Ähnlich die Erwachsenen. Aber wie soll es auf Dauer weitergehen? Was passsiert, wenn die Waren und das Geld knapp werden, sorgt sich hingegen meine Tante.
Ausnahmezustand in jeder Hinsicht
Sie schreibt mir, sie habe sich noch nie so unfrei gefühlt wie im Moment, blockiert irgendwie. Sie versuche ihr Leben so normal wie möglich weiterzuleben, mit wenig Kontakten nach draußen und viel Arbeit im Garten, aber die Angst, sich anzustecken ist groß. Denn sie erlebt auch, dass viele der AfrikanerInnen das Virus nicht so ernst nehmen und die wichtigen, aufklärenden Informationen erreichen längst nicht alle. Ihr Freund ist viel unterwegs, zwar mit Gesichtsmaske, aber sie weiß nicht immer, wen er trifft und wie sich diese Menschen wiederum schützen. Mit ihr zu telefonieren ist schwierig, die Leitungen sind momentan überlastet, Gespräche brechen einfach ab. Um im Email-Kontakt zu bleiben, geht meine Tante ins Cyber-Café.
Covid-19 und andere Herausforderungen
Im ganzen Land verbreiten sich falsche und irreführende Nachrichten über Covid-19, über die sozialen Medien. Sie schüren zusätzlich Ängste. Eine davon lautet, dass die Weißen das Trinkwasser mit dem Virus versetzt hätten, um die Togolesen zu infizieren und krank zu machen. Sie heizen alte Feindlichkeit an. Die Weißen als Kolonialisten. Diese Effekte der Kolonialzeit sind längst nicht beendet oder genügend aufgearbeitet, deswegen können solche falschen Nachrichten verheerend sein, neue Ressentiments hochspülen. Das ist gefährlich. Das Kollektiv Togocheck hat sich zur Aufgabe gemacht, diese falschen Nachrichten zu prüfen, zu beurteilen und richtig zustellen. Es teilt sie über die sozialen Medien. Eine wichtige Arbeit, aber erreicht sie auch die Ängstlichen, die Argwöhnischen?
Das afrikanische Gesundheitssystem
Der togolesische Staatspräsident Gnassingbé kündigte Anfang April einen Gesundheitsnotstand für drei Monate an. Das Gesundheitssystem ist auch ohne Corona schon eine Katastrophe, die Krankenhäuser sind in einem sehr schlechten Zustand, es fehlt an Medikamenten und gut ausgebildeten Personal. Während einer Reise nach Togo 2015 mussten wir diese Erfahrung selbst machen. Wir besuchten ein Dorf im Landesinneren, in dem der Freund meiner Tante geboren wurde. Wir schüttelten viele Hände, wurden in viele Hütten eingeladen und probierten unter anderem Kakaobohnen, die man auslutscht, um das wahre Aroma des Kakaos zu schmecken. Mein Mann machte das, direkt nach dem Händeschüttelreigen und ohne sich davor die Hände zu waschen. Er wurde krank und landete in einem Hospital, das – zum Glück – nur wenige Kilometer von dem Dorf entfernt war. Dieses Krankenhaus wird von der Schweizer Regierung finanziell unterstützt und gehört – wie uns vom Chefarzt erzählt wurde, zu den besser ausgestatteten Krankenhäusern des Landes. Um ehrlich zu sein, das Krankenhaus war eine Zumutung. Es mangelte an Grundsätzlichem. Es war ein Hoffen und Bangen und der beständige Versuch die hygienischen Zustände zu ignorieren. Nach einer Nacht am Tropf und einem Antibiotikum-Cocktail ging es meinem Mann zum Glück besser. Aber die Antwort eines Arztes auf meine Frage, wie gefährlich die Ansteckung für meinen Mann sein könnte, werde ich nie vergessen: „Für uns Afrikaner, die das Bakterium kennen, ist es kein Problem. Wie ihr Mann darauf reagiert? Keine Ahnung. Wir werden sehen.”
Momentan ist die Zahl der mit Covid-19 Erkrankten in Togo noch gering, laut Johns Hopkins University liegt sie bei 181, 11 Menschen sind an dem Virus gestorben (Stand 12. Mai 2020). Aber das ist erst der Anfang, wie viele Experten warnen. Der WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus sagte neulich, dass Afrika sich auf das Schlimmste vorbereiten müsste. Außerdem ist die Informations- und Datenlage schlecht. Welche Zahlen zu Intensivbetten, Schutzausrüstung und Testkapazitäten stimmen? Die Vorstellung, dass das Virus sich in Togo, in Afrika rasant ausbreitet, macht mir Angst.
Meine Tante plant ihre Deutschlandreise jetzt für August/September und hofft, dass Air France dann wieder von Lomé nach Paris fliegen wird. Bis dahin versucht sie, entspannt zu bleiben, den Garten zu pflegen und die Früchte zu ernten. Zum Glück ist gerade Mangozeit.
© Fotos Stephanie Drescher & Uwe Schwarze