Schon als Teenagerin wollte ich früh Mutter werden, soviel stand fest. Was für mich als junge Frau ganz selbstverständlich schien, wurde später, als ich mich nach dem Studium und meiner Ausbildung endlich dazu entschied, zum Problem. Wenn mir Mütter jetzt begegnen, dann spiegeln sie mir das Leben, das ich niemals führen werde.
Ich habe eine Verabredung mit mir selbst. Kaffee, eine gute Zeitschrift und ein bisschen Sonne zur Abwechselung. Schon den ganzen Vormittag freue ich mich darauf, dieses neue Café in der Nähe auszuprobieren. Lesen und ein bisschen den Tag vorüberziehen lassen. Das Café ist gut gefüllt. Vor mir sitzen drei Frauen, geschätzte Anfang dreißig. Alle sind vor maximal drei Monaten Mutter geworden und tragen ihre Babys auf dem Arm, während sie plaudernd ihren Salat essen. Satzfetzen wehen zu mir herüber. „Ich bin echt raus aus der Hockeyszene”, sagt die eine und ich kann nicht wirklich heraushören, ob sie es bedauert oder erleichtert in diesem Moment bemerkt, dass sie lieber mit Herzblut Mutter ist, als in der Profihockeyliga zu spielen. „Kennt ihr das auch, dass der Kleine nach dem Stillen, kurz vorm einschlafen immer so Glucksgeräusche von sich gibt?” Solche und ähnliche Fragen kommen mir sehr bekannt vor, gestellt von Freundinnen, die Mütter sind. Ich rechtfertige sie immer damit, dass mit dem Kind vorübergehend ein neuer Themenkomplex im Leben meiner Mutterfreundinnen dazugekommen ist. „Ich glaube, es ist ein bisschen windig, willst du ihr nicht doch das selbst gestrickte Mützchen von meiner Schwiegermutter aufsetzen?” Wie würde ich als Co-Mutter reagieren, wenn ich befürchtete, das Kind meiner Freundin könnte sich erkälten, ich kann aber Abhilfe schaffen? „Jetzt lassen wir mal diese Kinderkacke. Was ist eigentlich aus euren Plänen geworden, das Haus deiner Oma zu kaufen?” In diesem Moment fangen meine Augen – ich bin mir sicher, auch wenn ich es selbst nicht sehen kann, an zu leuchten. Selbstreflexion auf den Tisch gebracht.
Ich weiß nicht, wie ich selbst wäre, mit Mutterhormonschub und im Glücksrausch der Gefühle, denn ich bin keine Mutter und werde auch nie eine sein. Diesen Status habe ich mir nicht freiwillig ausgesucht, sondern er ist einfach passiert. Die Natur hat ihn in meinem und im Fall meines Mannes vorgegeben. Nach mehr als zehn Jahren intensiver Auseinandersetzung mit dem Thema, mehreren künstlichen Befruchtungen und alternativen Kinderwunscherfüllungsmethoden, nach Hoffen, Bangen und Wunderwünschen bin ich, ich würde sagen, mit der Sehnsucht Mutter zu werden, versöhnt. Was nicht bedeutet, dass die Tatsache, dass sie sich nie erfüllte, nicht Narben hinterlassen hätte, die je nach Wetter und Gefühlslage schmerzen. Inzwischen kann ich aber gut darüber sprechen, auch wenn mich jemand fragt, ob ich Kinder habe. Meist entsteht nach meiner Antwort eine kurze Stille. Ein Moment des Innehaltens, den ich mittlerweile gut aushalten kann. Nur sehr selten kommt ein „Warum denn nicht?”. Doch wenn, dann erzähle ich ganz offen von meiner Erfahrung und meinem Wunsch jung Mutter zu werden und eine große Familie zu haben.
Es gibt Zeiten, da versuche ich mir Argumente zurechtzulegen, dass es gar nicht so schlecht ist, keine Kinder zu haben. Ich bin unabhängiger, kann meinen Urlaub das ganze Jahr über planen und nicht nur in der Ferienzeit. Ich kann ausgehen, wann und wie lange ich will, ohne einen Babysitter zu engagieren. Ich bin frei. Das ist ein gutes Gefühl, aber ich weiß, ich hätte diese Freiheit gerne für Kinder aufgegeben – zumindest ein Stück weit. Neulich las ich in der ZEIT in der Rubrik „Prominent ignoriert” über eine Studie des schwedischen Umweltinstituts, das errechnet hatte, dass zwar der Verzicht auf Fleisch, Autofahrten und Flugreisen einen positiven Effekt auf die Klimabilanz habe, aber der effektivste Verzicht sei der auf Kinder, denn sie seien die allergrößte Umweltbelastung. Es sei mal dahingestellt, wie ernst zu nehmen eine solche Erkenntnis ist, aber für einen kurzen Augenblick fühlte ich mich ziemlich gut. Im Unterschied zu den drei Frauen im Café, die egoistisch und ohne Rücksicht auf die Weltlage, war ich keine massive Umweltsünderin. Ich hatte schließlich keine Kinder. Ich genoss diesen Moment des Alles-richtig-gemacht-zu-haben, bis mich der Faustschlag des Eingeständnisses voll in der Magengrube traf. Denn im Gegensatz zu meiner Entscheidung kein Fleisch zu essen, mehr Fahrrad als Auto zu fahren und Plastiktüten zu vermeiden, ist mein Verzicht auf Kinder ein unfreiwilliger. Er zeigt mir meine Grenzen, er ist auch die Einbuße der freien Entscheidung, er ist Kontrollverlust und Ohnmacht – alles ziemlich ungute Gefühle, die sich verstärken, wenn ich in die stolzen Gesichter der jungen Mütter schaue.
Kurz – denn soviel Zeit muss sein, dann widme ich mich wieder mir selbst, meinem Kaffee, meiner Zeitung und der Aussicht, den ganzen Tag zur freien Gestaltung noch vor mir zu haben.
Foto: © Uwe Schwarze