Zu einer Vernissage zu gehen gehört als Berlinerin zum allmonatlichen Programm. Auch wenn es täglich möglich wäre – ohne Übertreibung – sollte man sich die Kunsttermine gut einteilen, um sie irgendwann nicht als all zu selbstverständlich zu nehmen und vor allem auch, um ihrer nicht überdrüssig zu werden. Glücklich bin ich, wenn ich überrascht werde, wie kürzlich in der Chausseestraße 131.
Für ein neues Filmprojekt bekamen wir den Auftrag der Eröffnung von „OLD MASTERS” zu gehen und gleichzeitig die Ausstellung vorzustellen, die sich mit dem Thema „Alte Meisterwerke neu interpretiert” beschäftigt. Mmh, denke ich, klingt erst mal nicht wahnsinnig innovativ. Diese Idee hatten schon viele andere vorher, aber umso neugieriger bin ich.
Neu, beziehungsweise alt, aber neu an diesem Abend eröffnet, ist auch der Ort, in dem die Kunstwerke präsentiert werden. Außerdem wird dieser als coolste Location beworben, die Berlin gerade zu bieten hat. Ein Superlativ wie dieser, so konnte ich in Berlin schon häufig beobachten, ist meist darauf aus Publikum anzulocken, sprich hat es dann wohl nötig, was mich eher davon abhält, dort gleich zu den ersten Besucherinnen zu gehören. Aber am Ende des Tages sehe ich, dass der Werbeslogan funktioniert: Eine riesige Menschentraube wartet darauf, die Ausstellung zusehen und später DJ Hell und Chrysta Bell zuhören. Und ein Gebäude, in dem schon der Maler Lucian Freud wirkte und Wolf Biermann sang, klingt auf jeden Fall irgendwie schräg, da stimme ich dem Betreiberpaar zu.
Das Eindrücklichste an diesem Abend ist allerdings nicht der Ort, sondern es sind die Bilder der Ausstellung. Oder besser: Es sind die Models und wie sie von der Designerin Nina Athanasiou und der Fotografin Sylwia Makris im Stil der alten Meister in Szene gesetzt wurden. Menschen, die aus der Standardrolle fallen, weil sie sich als Albinos, versehrt ohne Beine oder nach einer Brustamputation vor die Kamera stellen. Die Künstlerinnen spielen mit einem Schönheitsideal, das sich selbst pervertiert, da es auf Perfektion aus ist, die keinen Bezug zur Realität hat. Sie fordern die Betrachter heraus. Schärfen den Blick und entzaubern die Superikonen des Modelolymps.
Melanie Gaydos, ein US-amerikanisches Model, auf die Welt gekommen mit einer seltenen Erbkrankheit, ist eindeutig der Star des Abends und eine der Hauptdarstellerinnen der Ausstellung. Wir begleiten am Nachmittag ein Fotoshooting mit ihr. Ihr Spiel vor der Kamera fasziniert mich. Ihre Ausstrahlung ist ätherisch, fast elfenhaft. Sie ist zart und für ein Model sehr klein. Sie hat eine Glatze und eine Lippen-Gaumen-Spalte; Attribute, die sich weniger im Modelbusiness vermuten lassen. Aber eines ist mir ziemlich schnell klar: Sie ist das geborene Model. Und überhaupt: Was heißt eigentlich schön? Und vor allem: Wer bestimmt, was und wer schön ist und wer nicht?
Schönheit hat nicht nur den einen Rahmen, der uns ständig und immer wieder von den Medien indoktriniert wird; den jede Werbung, jede GNTM-Staffel, jede Diätinnovation hamsterradähnlich wiederholt. „Nein”, möchte ich nach diesem Drehtag schreien, „nein”, Schönheit ist überall, nicht nur bei den vermeintlich Makellosen.
Foto: © Sylwia Makris