Heimat, was genau bedeutet dieses so schnell dahin gesagte Wort eigentlich? Ist es der Ort, wo wir geboren werden? Oder schaffen wir uns, unsere Heimat selbst im Laufe unseres Lebens? Ein Jahr lang traf ich Menschen, die ihren Geburtsort aus ganz unterschiedlichen Gründen verlassen haben, und fragte sie, was Heimat für sie heißt. Danach sah ich um einiges klarer.
Werde ich gefragt, wo meine Heimat ist, muss ich nachdenken. Heimat ist für mich einfach viel mehr als nur ein Ort. Heimat ist Gefühl und Erinnerung. Heimat sind Menschen und gemeinsame Erlebnisse. Heimat ist auch Wald, Kartoffelbrei und Eiback. Der Begriff ist so vielschichtig; das habe ich wieder gemerkt, als ich mich in den vergangenen Monaten beruflich damit beschäftigte.
Ich traf für die Serie 50 Küchen, eine Heimat Menschen aus fünfzig unterschiedlichen Ländern, die inzwischen dauerhaft in Berlin leben. In meinen Interviews mit ihnen, fragte ich sie natürlich auch, was Heimat für sie bedeutet. Fast alle antworteten mir, dass sie zwei Heimaten hätten: einmal das Land, in dem sie geboren sind und Berlin, wo sie jetzt leben. Aber für alle bedeutete Heimat auch, ihre Familie und die Menschen, die sie lieben. Ohne sie sei der Begriff Heimat leer.
Heimat, das wurde während meiner Auseinandersetzung mit dem Thema deutlich, heißt auch Kultur. Und was wiederum ist Kultur? Kultur ist Essen, ist Geschmack, ist Geruch. Kultur ist auch Sprache, Tradition und länderspezifische Gewohnheiten. All diese Begriffe spielen bei der Vertiefung des Heimatbegriffs eine wichtige Rolle. Und besonders fernab der vertrauten Umgebung avanciert die Heimat schnell zum Sehnsuchtsort, werden die damit verbundenen Dinge, wie zum Beispiel das geliebte Vollkornbrot oder die geschätzte Pünktlichkeit schmerzlich vermisst.
Die Gespräche mit all den Menschen, die ihre Geburtsländer verlassen hatten, ließen mich selbst noch einmal über meinen eigenen Heimatbegriff reflektieren und mir wurde klar: Für mich hatte sich die Bedeutung des Wortes über die Jahre verändert.
Als Kind dachte ich immer, Heimat ist dort, wo wir geboren werden. Also ganz einfach, ein Synonym für Geburtsort und ich war weit davon entfernt diesen Begriff mit irgendwelchen emotionalen Verortungen in Verbindung zu bringen. In meinem Fall wäre Heimat dann eine Kleinstadt in Nordrheinwestfalen, über die sich nicht wahnsinnig viel erzählen lässt, außer dass es dort ein Steinkohlebergwerk (noch), einen Märchenwald und ein von Musikern geschätztes Kaufhaus für Musikinstrumente gibt.
Über die eigentliche Bedeutung von Heimat fing ich erst später an nachzudenken. Ich zog von zu Hause aus in eine größere Stadt, studierte im Ausland, zog in eine andere Stadt; und wieder in eine andere. Regelmäßig besuchte ich meine Eltern. Als mein Vater starb und meine Mutter das Haus, in dem ich aufgewachsen war, verkaufte und zu meiner Schwester in ein anderes Bundesland zog, fühlte sich das komisch an. War ich jetzt heimatlos und meiner Wurzeln beraubt?
Ich war traurig, aber merkte schnell, es war nicht der verlorene Ort, der mich traurig stimmte, sondern die damit verbundenen Erinnerungen, die der Vergangenheit angehörten. Zum Beispiel, wenn meine Mutter für uns Kinder Eiback mit Kartoffelbrei machte. Eiback ist Rührei, aber nur in unserer Familie wurde es so genannt, weil meine Mutter den Begriff von ihrer Mutter übernommen hatte. Allen meinen Schulfreundinnen musste ich das Wort erklären und das fühlte sich irgendwie besonders an und gehört definitiv zu einer schönen Kindheitserinnerung. Oder meine stundenlangen Spaziergänge mit unserem Hund durch den Wald. Ich war mir sicher, nie wieder durch diesen Wald zu laufen und auch unser Hund war längst gestorben und durch einen anderen – der nicht mehr nur auf mich hörte – ersetzt worden.
Jetzt besuchte ich meine Familie an einem neuen Ort und realisierte, es sind die Menschen, die mir das Gefühl von Heimat geben – nicht nur in der neuen Stadt, in der meine Schwester nun mit meiner Mutter wohnte, sondern überhaupt.
Auch in Berlin, wo ich schon seit vielen Jahren lebe. Hier ist Heimat, weil ich mich hier zuhause fühle; weil ich hier Bindungen habe, Lieblingsorte und Menschen, mit denen ich neue Erinnerungen teile. Heimat ist für mich nicht mehr meine Geburtsstadt (die ist es schon lange nicht mehr), sondern das Gefühl der Zugehörigkeit zu Menschen. Das kann natürlich manchmal auch mit einem Ort zusammenhängen, muss es aber nicht.
Ich bin mir sicher, dass sich der Heimatbegriff vor allem in unserer mehr und mehr globalisierten Welt verändert hat, denn die wenigsten Menschen leben dauerhaft dort, wo sie geboren sind. Heimat kann überall sein.
Das ist wunderschön. Danke.