Zerbrechlicher Zwischenerfolg
Vergangene Woche sprach die Bundeskanzlerin von einem „zerbrechlichen Zwischenerfolg”, den Deutschland mit den auferlegten Einschränkungen des gesellschaftlichen Lebens und des wirtschaftlichen Lockdowns erreicht hat. Die Betonung lag eindeutig auf „zerbrechlich”. Trotzdem werden die Maßnahmen in den kommenden Wochen gelockert. Jetzt sollen die Geschäfte wieder öffnen, die Schulen irgendwie auch, die Kitas nicht, hier und da verordnen die Bundesländer eine Mund-Nasen-Maskenpflicht und allgemein herrscht ein undurchsichtiges Durcheinander.
Wenn ich morgens durch den Park jogge, fährt ein Polizeiauto routiniert seine Runden. Ich frage mich jedes Mal: Warum? Es hält nie an, es steigt nie jemand aus und außerdem ist morgens um 7 Uhr auch noch ziemlich wenig los, der richtig große Ansturm kommt erst am Nachmittag. Wenn die Polizei kontrollieren wollte, wäre es dann sinnvoll. Ob sie es tut? Ich weiß es nicht. Ich meide den Park inzwischen zu dieser Zeit. Die Unbefangenheit und die Trinklaune der meisten Menschen, die man dann dort beobachten kann, zermürben mich. Optimistisch sein? Ja, unbedingt! Fahrlässig? Auf keinen Fall!
Abstand halten
Vor ein paar Tagen auf dem Wochenmarkt treffe ich ein befreundetes Paar, das zusammenlebt. Wir freuen uns, dass wir uns sehen, bleiben aber auf Abstand, ob es genau 1,5 Meter sind, keine Ahnung, schließlich trage ich kein Maßband mit mir herum. Wir werden von einer Polizistin angesprochen, ob wir zusammen wohnten. „Nein, nur die beiden”, sage ich und deute in Richtung meiner Freunde. „Dann muss ich Sie bitten mehr Abstand zu halten, denn ich möchte ungern ein Bußgeld verhängen”, antwortet die Polizistin und lächelt, so als wolle sie sich entschuldigen. Sie schiebt noch hinterher, dass das ja „albern” wäre, das mit dem Bußgeld. In der Regel mag ich es überhaupt nicht, wenn OrdnungshüterInnen mich von der Seite ansprechen, da kommt gleich ein Gefühl von Gegenwehr und Argwohn in mir hoch. Aber diesmal freue ich mich über den eindeutigen Rüffel. Denn: Ist es tatsächlich albern, auf einen Sicherheitsabstand zu bestehen, wenn dieser ein effektiver Schutz vor einer perfiden, lebensbedrohlichen Krankheit ist? Ich finde nicht. Nur wenn wir genau wissen, was zu tun ist und dies bis in jede Körperpore verinnerlichen, können wir dieser unsichtbaren Kanaille begegnen, sie überlisten und hoffentlich bald bezwingen. Aber ich befürchte, das bald dauert noch eine Weile.
Zukunft denken
Die zarten Gedanken Richtung Zukunft sind diffus. Klar, zu normalen Zeiten – was heißt schon normal – kann ich auch nicht in die Zukunft blicken. Als Freiberuflerin ist dieser Fokus immer auf eine gewisse Weise unscharf, unkalkulierbar. Aber dann bezieht sich die Unsicherheit nur auf meine eigene Situation, jetzt liegt die komplette Welt in einem hellgrauen Nebel, Auflösung ungewiss. Jeder neue Tag beginnt mit der Frage, wie es weitergeht? Wie lange wird es noch dauern, bis wir den Punkt erreicht haben, an dem wir wieder Pläne schmieden werden? Es wird kein festgelegtes Datum geben, an dem wir den Neubeginn starten können. Denn das wird es sein, ein Neubeginn, einen nahtlosen Anschluss an unser altes Leben wird es nicht geben. Ich sehne mich nach meiner Unbeschwertheit vor Corona zurück, die ich nie als Unbeschwertheit empfunden habe, eher als eine dauerhafte Auseinandersetzung mit den sich ständig stellenden Herausforderungen des Lebens, unbeschwert war immer nur der Augenblick. Was sich „damals” oft als Anstrengung anfühlte – Termine, Deadlines, Verabredungen, Freizeitgestaltung – entpuppt sich unter heutiger Betrachtung als ein paradiesisches Miteinander mit leichten Auswölbungen. Mir fehlen diese Selbstverständlichkeiten.
Zerbrechlich, aber schön
Am Wochenende fahren wir zu zweit raus aufs Land nach Brandenburg. Das ist erst mal nichts ungewöhnliches. Doch diesmal habe ich die ganzen Zeitungsartikel – wie kürzlich in der Süddeutschen – und Geschichten im Hinterkopf, die davon erzählen, dass die Menschen es momentan nicht mögen, wenn andere Menschen aus „fremden” Regionen zu ihnen kommen. Geschichten von Platzverweisen, Beschimpfungen und Denunziationen. Ich will mich nicht verunsichern lassen, es wenn überhaupt selbst erleben, um dann darauf reagieren zu können, bin aber irgendwie auf der Hut. Es ist ein strahlender Tag. Wir haben Proviant und unsere Kameras geschultert. Die Natur empfängt uns mit offenen Armen. Die wenigen Menschen, auf die wir treffen, begegnen uns ohne Ausnahme mit einem Lächeln. Ein älteres Ehepaar, das mit dem Auto an uns vorbeifährt, kurbelt die Fensterscheibe herunter und empfiehlt uns die Hirsche „abzuschießen”, die hier immer vorbeiziehen. Eine kurze Irritation, dann lautes Gelächter, abschießen mit der Kamera, natürlich, was sonst. Landidylle vom Feinsten. Aber ich weiß, es ist eine zerbrechliche Momentaufnahme – umso mehr genieße ich sie in vollen Zügen.
© | Stephanie Drescher