After Party, After Life

Georgien ist gerade überall. Ständig werden mir neue Bücher empfohlen, Reiseführer angepriesen, Filme und Musik aus dem Land am Kaukasus ans Herz gelegt. So als wäre Kolumbus erneut auf große Fahrt gegangen und hätte ein neues Land entdeckt, das nun – ganz den modernen Zeiten geschuldet – medienwirksam präsentiert wird. Das mag an der diesjährigen Frankfurter Buchmesse liegen, auf der Georgien als Ehrengast eingeladen war. Vielleicht auch daran, dass die georgische Hauptstadt Tiflis neuerdings als Partymetropole mit dem Berlin der 1990er Jahre verglichen wird. Aber es könnte auch einfach sein, dass der Rest der Welt sich öffnet für ein Land, dessen Menschen, Künstler*innen und Autor*innen viel zu sagen haben. Wie Data Tavadze, ein junger georgischer Autor und Regisseur, der sein Stück After Party, After Life im Rahmen des Festivals War or Peace – Crossroads of History 1918/2018 im Maxim Gorki Theater zeigt. Das Festival begibt sich 100 Jahre nach dem ersten Weltkrieg auf eine Art Spurensuche. Was ist geblieben von diesem einschneidenden Konflikt? Welches Erbe hat er für die Menschheit hinterlassen? Wie wirkt er in unsere Gegenwart nach?

Anfang der 1990er Jahre. Georgien ist weit entfernt von einer Partymetropole – es herrscht Bürgerkrieg. In Sochumi, der Hauptstadt Abchasiens finden ethnische Säuberungen statt. Die Bevölkerung wird zusammengetrieben, wie Vieh abgeschlachtet. Frauen vergewaltigt, Menschen gefoltert. Es ist Krieg. Die, die kämpfen wissen längst nicht mehr warum. Sie haben den Krieg nicht befohlen, sie führen aus, werden zu Spielbällen der Macht. Kriegsmasse, Kanonenfutter. Die, die überleben sind für ihr restliches Leben gezeichnet, körperlich, wie psychisch.

So der Vater, den Data Tavadze aus dem Krieg nach Hause zurückkehren lässt. Es ist eine georgische Kriegsgeschichte, doch sie könnte auch woanders auf der Welt spielen. Krieg war und ist überall. Wenn nicht aktiv, ganz plakativ, mit Waffen und Panzern, dann in den Körpern verankert, über Generationen. Angst, Schrecken, Sprachlosigkeit setzen sich fort, bleiben. Sie sitzen in jeder Zelle.

Data Tavadzes Kriegsheimkehrer, der Vater, ist ein gebrochener Mann, schlaflos, apathisch, in sich und mit dem Erlebten gefangen. Der Sohn, der ihn empfängt und seine Geschichte dem Publikum erzählt, kann sich ihm nicht nähern. Im Hintergrund – auf einem Bildschirm – rennt ein Hund, er kommt nicht von der Stelle, er rennt und rennt, immer mit dergleichen Energie, aber ohne anzukommen. Es ist kaum auszuhalten, diesem sich verausgabenden Tier zuzuschauen. Ich möchte es stoppen, von meinem Sitz aufspringen, den Film anhalten, dem Hund endlich Ruhe gönnen, doch er rennt weiter. Steht er symbolisch für den Vater, der auch nicht ankommen kann? Zu Hause, wo sich alles verändert hat. Wo seine Kinder groß geworden sind und seine Frau sich alleine durchgeschlagen hat, während er tötete und selbst fast getötet wurde. „Ein Krieg zieht nicht einfach vorüber,” sagt der Vater und ergänzt, er sei zu einer Maschine geworden, zerlegt in alle Einzelteile. Um diese neue Situation auszuhalten, flüchtet er sich in den Rausch, die einzige Möglichkeit, jetzt, in Zeiten des vermeintlichen Friedens, zu überleben.

Was macht Krieg mit Menschen? Zerstören. Nichts bleibt übrig außer Geschrei, Wut und Ohnmacht. Gewalt erzeugt neue Gewalt, für die sich der Vater in regelmäßigen Abständen entschuldigt. Krieg ist asozial, denn er zerreißt Generationen, Menschen und Nationen. Warum lernen wir nicht daraus? Warum ist er immer noch Mittel, statt Tabu?

Ich schaue auf diese zwei Männer auf der Bühne, Emre Aksizoğlu (Vater) und Aram Tafreshian (Sohn) wie sie umeinander kreisen, sich annähern, dann wieder abstoßen. Wie sehr der Sohn sich bemüht, und wie designiert der Vater ihm begegnet. Ich möchte einschreiten, die Geschichte anhalten, Jahrzehnte, Jahrtausende vorher, aber das geht nicht. Wir sind die Summe unserer Taten. Wir sind verantwortlich.

Data Tavadze fügt Fragmente aus Interviews georgischer Kriegsveteranen zu einer einzigen Lebensgeschichte zusammen. Sie steht exemplarisch für Millionen von Männern und Frauen, die traumatisiert aus Kriegen zurückkehren und sich verlieren in schrecklichen Erinnerungen, die sie nicht loswerden können. Der Vater ist mit seinem Bruder in den Krieg gezogen. Nur einer ist zurückgekommen. Die Mutter will wissen, was mit ihrem anderen Sohn geschehen ist. Der Vater kann nicht darüber sprechen, stattdessen sagt er, er wisse es nicht. Doch das ist nur ein Schutz vor der Grausamkeit Überlebender zu sein. „Du wirst dir alles gut merken,” referiert der Sohn, „auch das Grab des Bruders. Du weißt genau, was passiert ist.” Nicht nur jetzt, sondern immer. Denn Krieg bleibt, er ist überall.

After Party, After Life – Ein Stück gegen das Vergessen.

Festivals War or Peace – Crossroads of History 1918/2018 im Maxim Gorki Theater bis zum 27. Oktober 2018.

 © | Stephanie Drescher

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