Kinder, seht, da müsst ihr wachen,
Euch vom Irrtum zu befrei’n.
Glaubet nie dem Schein der Sachen,
Sucht euch ja gewiss zu machen,
Eh’ ihr glaubt, geliebt zu sein.
Johann Wolfgang von Goethe
Eine kleine Insel in der Ostsee, mit dem merkwürdigen Namen Griffiun, ein Internat, auf dem es eine mehr als bunte Mischung von Schüler*innen gibt, ein alter verschrobener Mann mit Monokel und ein Schiff, das nur alle zehn Jahre an der Nordküste der Insel gesehen wird. Ein Plot, der viel verspricht, alles hält und darüber hinaus auch noch ein rasantes Finale liefert.
„Der Schein” ist das erste gemeinsame Buch der Autorinnen Anje Wagner und Tania Witte, das sie unter dem Pseudonym Ella Blix veröffentlichen. Darin erzählen sie eine phantastische Geschichte, die essenzielle Themen des Erwachsenwerdens anspricht, und erschaffen mit ihrer Hauptfigur, dem Berliner Teenager Alina, eine Persönlichkeit, die man als Leser*in gerne durch die fast 500 Seiten des Buches begleitet.
Jugendliteratur für die ganze Familie
Alina ist 16 – genau in dem Alter, in dem es manchmal schwerfällt, nicht dem Schein der Sachen zu erliegen, von denen Goethe in seinem Gedicht spricht. Doch sie schlägt sich wacker und ist mutig noch dazu. Da ist zum Beispiel das Naturschutzgebiet der Insel: eine Tabuzone für jeden, vor allem für die Schüler*innen. Denn hier wüten die Urrinder, gefährliche, unberechenbare Kreaturen, die den Tod bringen könnten. Doch trotz aller Warnungen, Verbote und einem Abschreckungsfilm, der jedem Neuankömmling im Internat vorgeführt wird, wagt sich Alina in das Gefahrengebiet. Sie muss unbedingt wissen, woher dieses grüne Leuchten kommt, das sie durch ein Fernrohr erspäht hat. Die 16-Jährige lässt sich eben nicht beirren, sie folgt ihren Instinkten, glaubt ihren Gefühlen, auch wenn sie sie nicht immer erklären kann und: Sie handelt! Ihr ständiges Schubladendenken reflektiert sie mit einem gefälligen Schmunzeln. Für einen Teenager ziemlich viel, finde ich, aber nicht zu viel, denn Alina verliert nie ihre Glaubwürdigkeit. Sie will den Dingen einfach auf den Grund gehen, lässt sich nicht blenden vom äußeren Bild. Am Ende wird sie für ihre Beherztheit belohnt.
Alina ist ein toller Charakter, aber auch alle anderen Figuren in dem Buch haben mich überzeugt. Da ist zum Beispiel Isabella, Alinas Zimmermitbewohnerin. Sie entpuppt sich von der anfänglichen Zicke zur Kräuterhexe mit Herz. Oder Cara, die wie ein Supermodel heißt, alles andere als eines ist, aber davon träumt eines zu sein. Sie punktet absolut durch ihre Bodenständigkeit.
Der Schein ist ein Jugendbuch, das ich sehr empfehlen kann, auch für Erwachsene. Denn wer erliegt nicht manchmal der Illusion, etwas zu sehen oder zu glauben, das in Wirklichkeit ganz anders ist?
© Cover Arena Verlag