Auf Winterreise

Im Januar in Deutschland zu verreisen: keine so gute Idee. Selbst in guter Gesellschaft erscheinen doch die meisten Orte grau, kalt und nicht besonders einladend. Niels, der einzige Deutsche im Theaterstück „Winterreise“ der israelischen Regisseurin Yael Ronen, das im Gorki-Theater in Berlin gezeigt wird, wagt es trotzdem. Denn er wurde von seinen afghanischen, syrischen und palästinensischen Freunden, die in Berlin im Exil leben, um diese Reise gebeten.

Sie versprechen sich von ihr mehr über Niels, sein Heimatland und sein Leben zu erfahren; sie sind es leid immer nur über sich und ihre eigene Geschichte zu sprechen. Also fahren sie gemeinsam los. In einem Bus, an einem Montag, erste Station Dresden. Auch das keine gute Idee, wenn man wie Niels die deutsche Romantik präsentieren möchte, aber stattdessen von aufmarschierenden Pegida-Anhängern empfangen wird, die die Freunde in die Verbannung ins Hotel schicken – erneut ein Exil. Nur aus dem Fenster trauen sie sich, auf die Stadt zu schauen. Was sie sehen, sind Transparente, die sie nicht verstehen und Menschen, die ihnen Angst machen. „Deutschland den Deutschen, dabei gehört Deutschland doch den Deutschen, wundern sie sich. Warum trägt Angela Merkel auf einem der Schilder ein Kopftuch und warum steht darunter Fatima Merkel? Seit wann ist sie zum Islam übergetreten?“ Und warum sind sie hier nicht willkommen, wo sie doch so gerne mehr über die deutsche Kultur kennenlernen möchten? Doch Interesse für ein Land zu haben, setzt nicht gleich dessen Gastfreundschaft voraus.

Yael Ronen spielt vor, wie absurd die Niederträchtigkeit sein kann. Sie bringt die Zuschauerinnen und Zuschauer zum Lachen, wo es eigentlich größter Ernsthaftigkeit bedarf. Aber sie macht es mit so viel Feingefühl, dass jede Ironie ihre Berechtigung hat und offenlegt, wie viele Fallstricke es im interkulturellen Zusammenleben geben kann, vor allem in der Annäherungsphase; vor allem auch in der nicht selbst gewählten.

Sie bedient sich typisch deutscher Klischees, zeigt auf, wie schwierig multikulturelle Begegnungen sein können, und zeigt am Ende, dass wir doch alle gleich sind in unserer Sehnsucht nach Liebe und nach einem zu Hause. Das wird sehr deutlich, als die Schauspielerin Maryam Abu Khaled erzählt, dass sie zwar in Deutschland – im Gegensatz zu ihrem Heimatland – alles machen darf, sie nicht mehr unter der Beobachtung ihres strengen Vaters stehe, aber dies auch bedeute, dass niemand sich so richtig für sie interessiert; und wenn, dann müsse sie ganz von vorne beginnen mit den Erklärungen. „Zu Hause mit meinen Freunden, da musste ich nichts mehr erklären. Wir haben uns verstanden, auch ohne Worte.“ Eine Erkenntnis, die mich in ihrer einfachen Tiefgründigkeit voll erwischt.

Wie es ist im Exil zu leben, weiß ich selbst nicht; ich kann es nur erahnen, wie es sein muss, sein Leben zu verlassen und in einem neuen Land ganz neu anfangen zu müssen. Zu Hause bedeutet für mich Geborgenheit, Sicherheit; ein Stück weit auch Gleichheit, die wiederum Sicherheit schafft. Exil heißt all das zu verlieren, für lange Zeit oder für immer; heißt aufgezwungener Neuanfang – mit all seinen Fallstricken. Trennung, Einsamkeit und Sehnsucht, diese Gefühle kennt jeder Mensch, behaupte ich, egal welcher Nationalität. Da sind wir trotz der oft großen kulturellen Unterschiede doch mehr oder weniger alle gleich. In „Winterreise“ geht es genau um diese Gefühle. Stark, berührend und mitten ins Herz.

Foto: © Uwe Schwarze

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