Das Pressefoto des Jahres 2017 zeigt einen Mörder, der berauscht ist von seiner Tat. Ein türkischer Polizist, „Allahu Akbar” schreiend, nachdem er den russischen Botschafter in einer Galerie in Ankara erschoss. Wenige Minuten später wird auch er von Sicherheitskräften erschossen. All das sind Hintergrundinformationen, die das Bild nicht erzählt, sondern, die über das Bild erzählt werden, erst später nach der Tat. Was ich als Betrachterin sehe, ist ein offensichtlich aggressiver junger Mann, bewaffnet mit einer Pistole, in Siegespose. Seitlich hinter ihm liegt ein Mensch – tot. An der Wand, Gemälde.
Der türkische Fotograf Burhan Ozbilici soll zufällig am 19. Dezember 2016 in der Galerie zur Eröffnung einer Kunstausstellung gewesen sein, verabredet mit einem Freund, seine Kamera als ständiger Begleiter. Er war im richtigen Moment, am richtigen Ort, offenbar abgeklärt genug draufzuhalten.
Ist es ein Glücksfall, der dieses „explosive Bild, das den Hass in unserer Zeit ausdrückt“, wie die World Press Photo Jury ihre Entscheidung begründete, entstehen lässt? Warum ist ausgerechnet dieses Foto so stark, wo doch fast alle ausgezeichneten Bilder in diesem Jahr – auf die eine oder andere Art und Weise – sehr eindrücklich, oft schmerzlich und ungefiltert den Hass in vielen Teilen unserer Welt zeigen; oder die Folgen des Hasses? Kriegstraumatisierte Kinder, fluchterschöpfte, weinende Menschen; tote, geschundene Körper; Blut, Furcht, Gewalt. Hass.
Das, was Burhan Ozbilicis’ Foto von den anderen unterscheidet: Es zeigt Täter und Opfer. Der Hass hat ein Gesicht. Und je länger ich das Bild betrachte, umso deutlicher spüre ich den Hass auch körperlich. Er springt mich regelrecht an, ist verstörend in seiner überberstenden Energie. Und wüsste ich nicht, dass dieses Bild Realität abbildet, erinnert es mich auch an unzählige Filmszenen aus Krimis und Thrillern. Gewalt, an die wir mehr und mehr, mit wachsender Popularität dieser Genres, gewöhnt sind. Auf die wir auch draufhalten, die uns hinschauen lassen – immer mit der Gewissheit, dass sie Fiktion sind.
Burhan Ozbilicis’ abgebildete Szene ist so stark, weil sie echt ist, weil wir uns nicht beruhigt zurücklehnen können mit der Erkenntnis der Fiktion. Weil sie uns zeigt, welche Konsequenz Hass mit sich trägt, tragen kann.
Foto: © Burhan Ozbilici – The Associated Press